Zwischen den Fronten


"Nur die Toten haben das Ende des Krieges gesehen" (Platon)


Was für eine Schlacht! Welch Gemetzel! Tief fliegen die Geschosse der Meinungen und schlagen splitternd im Feindesland ein! Spaltung und Feindschaft, Verrat, Verbrüderung und wieder Verrat! Jene die sich im Kampf verbündet haben, werden in den kurzen Waffenstillständen wieder zu Gegnern. Wenn man zwischen den Fronten steht, wird man taub von alldem Gedröhne. Die Fronten sind verhärtet. Gegenmeinungen stehen spitz und giftig zwischen aller Annäherung.

Man marschiert auf. Noch etwas zaghaft und ohne wirklichen Gleichschritt, aber geeint durch vage Ängste, vielleicht sogar mit konkreter Befürchtung trabt man los. Vieles wird vermutet, manches bestätigt sich. Man selbst steht noch unschlüssig, weil man nicht weiss, wem man Vertrauen schenken kann bzw. soll. Man ahnt ja auch nur, bestenfalls spürt man. Das echte Wissen ist rar auf dem Schlachtfeld der Überzeugungen.


Man solle sich entscheiden. Da ist ein grosses Werben um einen. Ein Werben von so mancher Seite. Und die Entscheidung ist wirklich schwer, weil man denkt, dass diese Entscheidung ja Gewicht hat! Soll man sich dem Staat und seinem Tun bedingungslos anvertrauen? Oder aber ist es besser, sich einer anderen Seite zu verschreiben, einer "Bewegung" in der man die eigene Wut und Ohnmacht über das besser gespiegelt weiss? Man will am Ende ja bei denen sein, die Recht hatten - aber wer kann das jetzt schon wissen - behaupten tun es alle! Wer erliegt der Täuschung? Was ist Wahrheit und was ist reine Propaganda?


Beide Seiten fahren ihre Waffen auf. Ein ganzes Arsenal von "Experten" das da aufeinander trifft. Worthülsen bis zum Hals. Die einen lauter, die einen leiser, manche trotzig schweigend. Von einer Seite strömt Beruhigendes auf einen ein, während von ganz anderer Seite der Ruf nach Aufstand einem in den Ohren hallt! Man hängt fest im Stacheldraht aus Widersprüchen. Man kommt selbst kaum voran. Vor allem weil man nur wissen kann, was man versteht und nur versteht, was man wissen kann. So bildet sich die "eigene Meinung" aus den Zurufen der Fronten. Eine Mischung aus beidem vielleicht, aber eben deshalb kaum befriedigend und nur in geringem Maße beruhigend.


So sitzt man da im Niemandsland, umgeben vom Lärm der Schlacht und weiss nichts oder zu wenig, um sich ganz und gar für eine Seite zu entscheiden. Mit jedem Tag wird es schwieriger, da die Seiten sich wiedrum spalten und so immer mehr werden. Man hofft dass die Spaltung so lange fortschreitet, bis alle Masse sich in Einzelteile gelöst hat und man endlich wieder beim Individuum angekommen ist. Und man hofft dass dieses Individuum wieder ein Denkendes und Fühlendes ist! Man hofft, das sich die Herzen wieder entwirren konnten, nach all dem "Wir" und "Sie" Gebrülle der beleidigten Egos! Eigentlich hofft man auf die Klugheit der Seele und zugleich fürchtet man sich davor, dass die Hoffnung vielleicht vergebens sein könnte.


So steht man verzeifelt zwischen den Fronten und ist schon ganz heiser vom eigene Rufen nach Waffenruhe! Erschöpft und resigniert sucht man nach einer Lösung, die es hier nicht geben kann und gäbe es sie: niemand würde einen hören! So kommt der Tag, an dem man eine Entscheidung trifft, die all den Kämpfenden als unpopulär, als feige, als verrärterisch und eigensüchtig erscheinen mag: Man verlässt das Schlachtfeld. Natürlich bekommt man dabei noch alles Mögliche an den Kopf und vor die Füsse geworfen. Aber man schleppt sich an den Rand des Feldes, dorthin wo der Lärm endet, dorthin wo es vielleicht noch Kollateralschäden geben mag, aber wo nicht mehr an einem gezerrt und gezogen wird, um eine Entscheidung zu erzwingen! Dort, entfernt von allem, sinkt man ins Gras und erinnert sich ganz anderer Dinge! Man erinnert sich an einen eigenen Weg, an eine Haltung, an ein "Geführt Sein" von ganz anderer Stelle! Hier dringt das Flüstern der Ahnen zu einem durch und gibt Ahnung! Hier ist Geist und tiefes, inneres Wissen! Hier lebt das Herz wieder auf und öffnet sich für all die Anderen, die ebenso den Weg gefunden haben! Hier ist SEIN und ZIEL.! Hier ist man SELBST! Noch ist man unsicher und immer wieder sucht man, alten Mustern und Prägungen gehorchend, das Schlachtfeld auf. Aber schnell treibt es einen wieder zurück an diese wunderbare Stelle die den Frieden noch kennt. Irgendwann bleibt man. Und atmet. Und lebt.


Nein, das ist weder Flucht noch ist es Verdrängung! Die Schlacht wütet ja weiter und das Schlachtfeld samt den Fronten ist immer noch in Sicht! Sogar die Kollateralschäden betreffen einen in entsprechendem Ausmaß! Aber eben diese Entfernung erlaubt erst einen Blick auf das GANZE! Und in diesem fächernden Blick erkennt man vieles das gut ist und richtig, aber man sieht auch das Falsche und die lächerlichen Irrwege! Das ist keine Überheblichkeit sondern "Überblick". Mit dem Blick aus der Distanz stellt sich ja Vieles ganz anders dar! Es zeigt sich einem der ganze Wahn auf eine Art und Weise, wie es mitten im Felde, zwischen den Fronten und bei all dem Lärm nicht möglich wäre! Zu laut ist es dort, und zu gefährlich für den Geist, der an manchen Tagen wie aus feinem Glas ist! Man blickt auf das Schlachtfeld zurück wie aus einer guten Zukunft in der man bereits ist.


Im Abstand zur Schlacht wird der Kämpfende wieder ganz Mensch - und es mag gut sein, dass er diese Erfahrung zu seiner (Wider- ) Menschwerdung braucht! Wenn aber in der Erfahrung alles menschliche abstirbt, dann ist jeder Sieg eine Niederlage! Dann gibt es kein glückliches Ende! Eine Schlacht kann einen vieles lehren, vor allem jenen Zeitpunkt zu erkennen, an dem es Zeit ist zu gehen um Mensch zu bleiben! Sie kann einen lehren, wie schmal der Grat ist und wie leicht das Gute zum Schlechten werden kann! Sie kann uns lehren, wie schnell uns Überzeugung hassen lässt und dass ein Vorurteil alle Brücken zum Frieden zu zerstören vermag!


Seine Haltung zu vertreten ist Auftrag, Recht und Pflicht in einem. Sich einzusetzen für das Gute, sollte unser aller Antrieb sein. Sich für die Schwachen starkt zu machen und den Gestürzten wieder auf die Beine zu helfen, sollte fraglose Normalität sein. Unrecht aufzuzeigen und jene die Macht haben, entschieden an ihre Verantwortung zu erinnern, ist Bürgerrecht und Bürgerpflicht!

Dabei uns alle als Bruder und Schwester in Auge und Herzen zu behalten, ist jene Kunst die es uns ermöglicht, bei allem Widerspruch und aller Gegensätzlichkeit der Meinung, ganz Mensch zu bleiben!


Das "Miteinander" will gelernt sein, jeden Tag aufs Neue


herzlichst


Georg