Minderheit


Gestern beim Einkaufen:

Ich und meine Frau im gelben Laden der billig sein soll (daher der Firmenname). Beide ohne Maske. Nach einer Minute fällt es mir auf, dass wir umgeben von Maskenträgern sind. Das ist wie Safari. Bunte Masken, einfärbige Masken, billige Masken, teure Masken, Kind mit Maske in Einkaufswagen, Mann mit Gesichtsschild und Maske. Nach kurzer Zeit steht fest: Wir sind die einzigen Nackten, wir sind die Minderheit. So hab ich mich das letzte Mal gefühlt, als ich in einem Reisebus im Ecuadorianischen Nirgendwo, der einzige Gringo war.

Dann glaube ich an einem Gehörschaden zu leiden, bis mir klar wird, dass ja alle nuscheln, dass ja kein klares Wort durch das Gewebe dringen kann. Ich passe mich an und nurschle meiner Frau etwas von der Einkaufsliste zu, das sie nicht versteht. Es wäre "Thunfisch" gewesen. Verstanden hat sie "Mumpfschf" und "Mumpfschf" war aus. Die Maskenträger beäugen uns und wir sie. Das ist vermutlich irgend einem Reflex geschuldet, den man so in sich trägt. (Wie wenn beim Gegenüber Schnittlauch zwischen den Zähnen hängt)

Die Augen über den Masken zeigen aber keinen Ärger, sondern vielmehr Neid oder Sehnsucht. Schwer zu sagen. "Naja", denke ich mir und lege eine Packung Speckwürfel, also "Schpoffkwofffl" in den Einkaufswagen, "das wird ja spassig, wenn die Maskenpflicht ganz vom Tisch ist, was tun die Leute dann mit all den Masken?" Ich weiss schon, weitertragen natürlich, waren ja nicht ganz billig, also die bunten Fetzen. Sowas wirft man nicht weg, wie die Kleider im Schrank, die einem niemals wieder passen werden, und falls doch, sind die 80er Jahre schon lange vorbei. Oder aber sie tragen sie weiterhin aus Angst, was schlimm ist.

Niemand spricht uns auf unsere Nacktheit an. Das ist beinahe enttäuschend. Ich wär so gern mal Gesetzloser gewesen, Rebell, Revolutionär. An der Kassa dann die letzte Chance zurechtgewiesen zu werden. Etwas in mir freut sich dämonisch darauf. Aber wieder: Nix. Null. Nada. Man wünscht uns freundlich und vermutlich lächelnd "aufschwuderschwon!". Ich sage "schwüff". Schon klar. Soll ja auch jeder machen wie er mag. Soll jeder eine Maske tragen oder eben nicht. Manchen scheint das ja auch Freude zu machen irgendwie. Ich seh den Sinn nicht und bin da beratungsresistent. Und an die Verordnung halte ich mich ja trotzdem. Ich bekomm halt keine Luft und mir wird seltsam - dann muss man keine Maske tragen. Kann man nachlesen. Ist amtlich. Also bitte keine Belehrungen diesbezüglich. Hygiene ist mir nicht fremd, Händewaschen hab ich schon als Kind gelernt und auch "Abstand" kenne ich als "Respektsabstand".

Draussen sind wir dann keine Minderheit mehr. Das ist angenehmer. Draussen atmet alles auf. Draussen, ohne Maske, erinnert man sich wieder daran, sich gegenseitig zuzulächeln, auch wenn der Laden gar nicht so billig ist, wie er vorgibt zu sein. Draussen haben alle wieder ganze Gesichter. Draussen ist man keine Minderheit. Draussen sind wir alle nackt. Draussen sind Wir wieder WIR. Draussen hat die Spaltung ein Ende.


Einen schönen Tag Euch allen, ob mit Maskierung oder ohne!


Georg