Haltungsschaden


Keine Haltung zu haben ist natürlich auch eine „Haltung“ und bequemer ist es auch, vor allem in Zeiten in denen Haltung und Rückgrat gefragt sind.


Es ist ein bisschen „Pippi-Langstrumpf-Denken“ dass da bei manchen im Übermaß das Sagen hat. Aber Vorsicht: „Pippi“ ist ein Kinderbuch - ein sehr tendenziöses obendrein. Denn da ist diese Pippi und die ist so klug und frei und steht über allen Konventionen und der Rest, je der Rest samt Annika und Tommy und Anhang, das sind die Blöden, die konservativen Deppen, die irgendwie durchs Leben kommen weil sie von ihren arbeitenden Eltern gefüttert, angezogen und zur Schule geschickt werden (die natürlich auch Käse ist). 


Pippi macht sich die Welt wie sie ihr gefällt. Zwei mal drei ist dann halt irgendwas. Das kann sich die gute Pippi auch leisten, denn ihr Vater, der Seekapitän und Negerkönig, der hat ihr, woher er auch immer die Kohle hat, eine Tasche mit Goldstücken hinterlassen. Da ist die Pipi mal schon fein raus was die Lebenshaltungskosten angeht. Da lässt sich leicht herziehen über Jene die für ihren Lebensunterhalt eben arbeiten müssen.


Und sonst kann Pippi auch glänzen, weil sie Superkräfte hat. Das ist praktisch weil einem da keiner ankommt und man schon mal sein Pferd hochheben kann und anderes Wunderdinges vollbringen kann, sowas wie „fliegen“ zum Beispiel,  das den anderen, den blöde staunenden Arbeiterkindern schon einiges an Respekt abringt und alle anderen Erwachsenen bedrohlich erscheint. Das ist schon ein prima Druckmittel. Superkraft. Da kann einem mal schon alles egal sein mit solch einem Meinugsverstärker im Anschlag.


Nimmt man aber der Pippi ihren Goldschatz und ihre Superkräfte, dann bleibt eigentlich nicht viel über von ihrem „Zauber“. Dann ist ihre „lockere Sicht der Dinge“ augenscheinlich nur diesen beiden Tatsachen geschuldet gewesen: dem Geld und der Superkraft. Ohne diese beiden Attribute müsste die Kleine später wohl irgendwie ihren Lebensunterhalt selbst verdingen und da wirds dann eng mit Freiheit und Freizeit - na, wir kennen das ja… 


Nein, das ist natürlich ein ganz tolles Kinderbuch das die Lindgren da geschrieben hat! Keine Frage! Ich finde es auch ganz prima und hab das gern gelesen und die Filme hab ich verschlungen als Kind - wobei meine Sympathien eindeutig bei Pippi lagen und nicht bei Annika und schon gar nicht bei Tommy oder dem armen Fräulein Prusselyus. Es wirft Fragen, dieses Buch auch was die Gesellschaft angeht und regt zur Rebellion an - die man sich, das muss man dazusagen, auch leisten können muss - was Pippi ja kann. Dennoch, diese Kinderbuchfigur heranzuziehen um seine eigene „Haltungslosigkeit“ zu legitimieren ist schon ein wenig „infantil“. Aber es darf natürlich jeder wie er meint, oder eben je nach Horizont vermag. 


Die Welt ist wie sie ist. Sie sich schöner zu lügen hilft ihr und uns nicht. Ich weiß dass es oft nicht leicht ist die Dinge so sehen wie sie sind weil das oft schmerzhaft, verstörend und erschreckend ist. Dennoch ist das der erste Schritt zur Veränderung: es so zu sehen wie es IST, mit ALLEM! SO beginnt es und nicht damit zuerst mal keine Haltung mehr zu haben, sein Rückgrat aufzugeben und sich dafür eine Wunschvorstellung zurecht legen die man dann wie ein Kleid das nicht und nicht passen mag, über die Realität zu zwingen versucht. Und speziell wenn es darum geht jemanden „zu stützen“ also Kraft aufzuwenden um positiv zu verändern, spätestens dann wird klar dass das ohne Haltung und ohne Rückgrat nicht funktionieren wird und auf den Ersatz für diese beiden Dinge, also auf „Goldstücke“ und „Superkräfte“ können wohl nur die Wenigsten zurück greifen. 


Also schämt euch eurer Haltung nicht! Selbst dann nicht wenn jene die es sich leisten können davon erzählen dass man sich die Welt nur so zu machen braucht wie sie einem gefällt. So einfach ist das nur im Kinderbuch und auch dort ist es nie enden wollender Kampf, auch wenn es nur eine Geschichte ist…


Das Leben ist manchmal sehr ernst und sehr wahr, das braucht es auch um am Ende gut zu werden. 


Herzlichst


Georg 


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