Der Stein der Weisen


Vor Tagen habe ich dich gefunden. Du lagst im Wasser, tief, klar überspült, schillernd und bunt. Da unten habe ich dich gesehen, von oben, hinter der Grenze welche die Luft vom Wasser trennt. Eine Spiegelung warst du, bewegt, unstet und doch fest am Boden – wie “ewig” oder wie “immer schon”. Du hast mir zugewunken auf deine ganz eigene Art und auch im Wasser war deine Stimme zu hören, ganz fern.

Meine Hand hat dich gesucht, die Finger haben dich ertastet. Es war nicht leicht dich zu greifen. Kühl warst du und sanft, glatt wie der Fisch und doch fest im Grund verankert, wie festgehalten. Dann habe ich dich nach oben gebracht und dich besehen. Ich habe dich in der Hand gewogen und du warst leicht und schwer zugleich. Freude war in mir dich gefunden zu haben.

An die Lippen habe ich dich geführt und dich geschmeckt. Nahe ans Ohr habe ich dich gehalten aber du warst stumm. Dann habe ich dich endlich zum Herzen geführt und dich sagen hören: “leg mich zurück! Da unten ist mein Heim! HIER ist meine Welt! Wenn du mich mitnimmst werde ich matt! Die Kühle die du so liebst an mir wird rasch vergehen. Mein Glanz wird schnell schwinden. Meine Stimme wird rauh werden und dann werde ich ganz verstummen! Meine Farben werden verblassen! Du wirst mich vergessen haben, bald schon. Ich werde nur den Staub deiner Welt auf mir sammeln! Ich werde an einen Ort entführt sein, an dem ich nicht heimisch bin!”

Ich habe gezögert. Ich wollte dich besitzen, wollte dass du Teil meines Lebens wirst. Ich wollte dich als Erinnerung an das Jetzt immer bei mir haben. Ich wollte den Augenblick verlängern, das Gefühl konservieren. Ich wollte sein wie du. Dort unten. Im klaren Wasser.

Dann habe ich dich zurückgelegt, sanft, mit Bedacht an jene Stelle von der ich dich zuvor genommen habe – und als ich das tat, war alles rund und gut und ganz leicht. Ich wurde dein Freund.

Von Zeit zu Zeit besuche ich dich, dort in deiner Welt. Ich erkenne dich wieder unter all den anderen. Du sprichst noch immer zu mir und sagst mir weise Dinge die nur ein Stein wissen kann, so alt wie du bist! Du lehrst mich die Ruhe, auch Beständigkeit bringst du mir bei und dass man dein Wesen nie besitzen kann.

Du bist ein weiser Stein. Wie froh bin ich dich gefunden zu haben, Freund!

Aho!

herzlichst Georg